Das Friedensgutachten 2019 – Vorwärts in die Zukunft? Frieden braucht Partner

„Der Frieden ist ein heißes Thema!“ – mit diesen Worten leitete Uwe Trittmann, der Studienleiter an der Evangelischen Akademie Berlin für Friedensethik, Außen- und Sicherheitspolitik, die Diskussion um das Friedensgutachten 2019 in der Französischen Friedrichstadtkirche Berlin ein. In derart von Unsicherheiten geprägten Zeiten wie den heutigen, sei die Analyse und Diskussion des seit 1987 jährlich von den führenden deutschen Friedensinstituten erarbeiteten Gutachtens ganz besonders wichtig, so Trittman. Nur so ließen sich wegweisende Empfehlungen an die Politik formulieren. Er kritisierte die mangelhafte Umsetzung bisheriger Ansätze in der Praxis und betonte eine der zentralen Forderungen des Gutachtens, wonach der Fokus auf die verstärkte Einbindung nichtstaatlicher Akteure im internationalen Konfliktmanagement forciert werden müsse.

 

Dieser Einleitung schloss sich Prof. Dr. Tobias Debiel vom Institut für Entwicklung und Frieden (INEF) an, um die Kernaussagen des aktuellen Friedensgutachtens darzustellen. Debiel zeichnete den Wandel der sicherheitspolitischen Ordnung als ein recht pessimistisches Szenario, das durch Trends wie dem Zerfall der globalen Nuklearordnung, der Erosion der Beziehungen zwischen Russland und der NATO, der steigenden Zahl kriegerischer Konflikte und einer schwachen und handlungsunfähigen UN gekennzeichnet ist. „Der Frieden zerbricht also“, konstatierte Debiel vor diesem Hintergrund, und betonte die Notwendigkeit engerer Partnerkooperationen. Gleichzeitig warnte er davor, dass es auch „falsche Partner“ gebe, vornehmlich auf staatlicher Ebene, da die vielfältigen Konfliktfelder mit deren Interessen verbunden seien. Beispielsweise seien Migrationspartnerschaften nicht um jeden Preis erstrebenswert. Deshalb müssten vermehrt zivilgesellschaftliche Akteure angesprochen und ins Konfliktmanagement eingebunden werden. Deutschland könne in diesem Zusammenhang verstärkt die Rolle eines Brückenbauers und Vermittlers zwischen den relevanten Akteuren einnehmen, etwa um proaktiv in der Nuklearpolitik zu verhandeln und deren fortschreitende Erosion zu verhindern. Auch müsse weiterhin größeres Engagement in multilateralen Stabilisierungsmissionen gezeigt werden, durchaus auch solchen mit robustem Mandat. Als weitere mögliche Lösungswege nannte Debiel abschließend eine restriktivere Rüstungspolitik und die Nutzung der für Deutschland bereits vorhandenen Möglichkeiten und Instrumente innerhalb der Vereinten Nationen, statt vor allem einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat anzustreben.

 

Der MdB und ehemalige Bundesminister des Auswärtigen, Sigmar Gabriel, widmete sich im Anschluss an diese zusammenfassende Darstellung einer kritischen Würdigung des Friedensgutachtens. Er erklärte, bereits das diesjährige Motto nicht ganz einordnen zu können: "Vorwärts in die Vergangenheit" - welche Vergangenheit ist damit gemeint? Wenn dies heißen solle, damit in die in vielen Vergleichen geäußerten Denkstrukturen des Kalten Krieges zurückzufallen, so sei dies in dieser Form gar nicht möglich, auch wenn es durchaus eine Menge Befürworter hierfür gebe, so Gabriel. Daran ließ sich sogleich das Kernargument der Kritik Gabriels ablesen, nämlich dass das heutige internationale Gefüge im Vergleich zu damals weitaus komplexer geworden sei; die politischen Dynamiken und Machtachsen sich demnach drastisch verschoben hätten. Er formulierte daraufhin Kritiken an drei wesentlichen Aussagen des Friedensgutachtens, deren Auffassung er nicht teilen konnte und denen er eine vornehmlich realpolitische Sichtweise gegenüberstellte. Zunächst bezog er sich auf die Wahrnehmung Deutschlands und der EU als attraktive Vermittler und Partner.

 

Gabriels Einschätzung war eindeutig: "Deutschland spielt in keinem der internationalen Konflikte irgendeine Rolle - wie kommen Sie auf die Idee, Deutschland wäre ein attraktiver Vermittler?" Die wahren Zentren der politischen Dynamik und die Machtachsen lägen jenseits Europas, bei den USA und China. Er forderte ein größeres Maß an Reflexion ein, um diese Realität mehr in den Fokus zu rücken. Deutschland und Europa könnten nur dann als respektable Partner wahrgenommen werden und nachhaltige Verhandlungen führen, wenn sie international als starke Wirtschaftsmächte aufträten. Des Weiteren teilte Gabriel nicht die Einschätzung, dass es sinnvoll sei, eine größere Autonomie von den USA anzustreben. Dies sei eine vornehmlich west- und mitteleuropäische Auffassung, die in den Staaten Osteuropas ganz anders wahrgenommen würde, besonders in Polen und den baltischen Staaten als Nachbarn zu Russland.

 

Jetzt verstärkt auf eine Abkehr von den USA zu pochen, könne auf eine Spaltung innerhalb Europas hinauslaufen. Abschließend, so Gabriel, lese er aus dem Gutachten heraus, dass auf interessensgeleitete Politik zu verzichten sei, da diese besonders konfliktschürend wirke. Dem setzte er entgegen, dass eine rein wertegeleitete Politik auch zweckentfremdet werden kann - man denke an die Rechtfertigung, Demokratie auch durch Krieg verbreiten zu müssen. Wichtiger sei daher vielmehr, auf der Suche nach neuen Partnern gerade auf gemeinsame Interessen zu blicken, um stabile Kooperationen zu gestalten, denn staatliche Politik sei stets interessensgeleitet. Selbstverständlich könne dies zu politischen Dilemmata und gefährlichen Widersprüchen führen. Dessen müsse man sich stets bewusst sein, schloss Gabriel, "denn Sie werden sich mit Ihren Entscheidungen schuldig machen können".

 

Das Friedensgutachten wird von folgenden Instituten erarbeitet:

 

Bonn International Center for Conversion

Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft e.V.

Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung

Institut für Entwicklung und Frieden

Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg